Wir sind mehr als nur ‚unsere‘ Geschichte! Für eine moderne Erinnerungskultur in Wien.

Edward Colston, Wladimir Iljitsch Lenin, Karl Lueger – nicht zuletzt durch die Black-Lives-Matter-Proteste in den USA rückten die Formen öffentlicher Ehrungen belasteter historischer Personen wieder ins Rampenlicht – so auch in Österreich. Im öffentlichen Diskurs wird der Ruf nach einer kritischen Auseinandersetzung mit den Denkmälern belasteter historischer Figuren und ihrer Kontextualisierung oder Demontage immer lauter.

Das wohl prominenteste Beispiel in Wien ist dabei die Statue Karl Luegers, der seinen politischen Erfolg auf grassierenden Antisemitismus baute, wie auch der Historiker:innenbericht der Stadt Wien dargelegt hat.1 Nach langer Debatte ob eine Kontextualisierung über Informationstafeln hinausgehen sollen, aktivistischer Interventionen (‘Schande’) und einem Wettbewerb zu Kontextualisierungskonzepten wird nun die Statue um 500.000 € um 3,5° nach rechts geneigt.2 Auch rund um den Leopold-Kunschak-Platz, benannt nach einem Antisemiten und Parteigänger Luegers, kam es durch die Forderung nach Aufstellung eines weiteren Ehrenmals für Kunschak zu hitzigen Debatten.3

Der Umgang mit der öffentlichen Ehrung von belasteten Personen ist aus unserer Sicht keine Frage von Geschichte, sondern eine Frage der politischen Verantwortung. Diese Statuen und Ehrungen bilden nicht ‘die’ oder ‘unsere’ Geschichte ab, sondern sind ihrerseits ein Produkt einer spezifischen Epoche und Mentalität. Die Veränderung dieser Gedächtnisformen ist keine Verfälschung der Geschichte, sondern eine normale historische Praxis, so wie ihn jede Epoche vor der unseren kannte.

Im Umgang mit Ehrungen im öffentlichen Raum gibt es aus unserer Sicht keine generelle Regel, wie mit ihnen umzugehen ist. Das würde der geschichtlichen Realität auch nicht gerecht werden. Jedes Denkmal muss für sich diskutiert werden. Die Politik muss aber dafür den geeigneten Rahmen schaffen.

Diskussionsräume schaffen – politische Verantwortung übernehmen!

Wir JUNOS – Junge Liberale NEOS begrüßen die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte als Chance, um uns von einem einseitigen Geschichtsbild zu lösen und eine lebendige Erinnerungskultur zu gewinnen, die, getragen von Bürger:innen, sich mutig mit belasteten Kapitel der eigenen Geschichte auseinandersetzt.

Aktionistische Interventionen, wie etwa die Kontextualisierung des Karl-Lueger-Denkmals durch den Schriftzug ‘Schande’, erkennen wir in diesem Zusammenhang als zivilgesellschaftliche Protestform an. Einen Ruf nach Strafverschärfung lehnen wir daher ab.

Ungeachtet davon, zeigt die Notwendigkeit solcher Protestformen, dass es der Zivilgesellschaft an qualitätsvollen Diskussionsräumen fehlt, in denen, unter Anleitung von Expert:innen, die Auseinandersetzung mit öffentlichen Ehrungen von belasteten historischen Personen passieren kann. Diese Diskussionsräume müssen dabei möglichst nahe an den Bürger:innen stattfinden und es ist die Aufgabe der Politik, sie bereitzustellen.

Grundlage dieser Diskussionen müssen aus unserer Sicht wissenschaftliche Erkenntnisse bilden. Denn nur auf einem Fundament aus Fakten können politische Entscheidungen getroffen werden, die auch nachhaltig sind.

Die Entscheidung wiederum, wie mit öffentlichen Ehrungen belasteter Persönlichkeiten umgegangen wird, ist und bleibt eine politische Verantwortung und kann nicht auf die Wissenschaft abgeschoben werden. Sie steht für uns am Ende eines öffentlichen Diskurses, unter Beteiligung von Bürger:innen.

Es ist Zeit den nächsten Schritt hin zu einer modernen Erinnerungskultur zu machen und wir JUNOS – Junge Liberale NEOS fordern daher:

Kurator:innen für den öffentlichen Raum!

Nahezu jedes Museum verfügt über Kurator:innen, die den nötigen Kontext für ein besseres Verständnis von Artefakten herstellen. Sie schaffen damit die nötige geschichtswissenschaftliche Grundlage, um diese Objekte besser zu verstehen und ein vollständigeres Bild von ihnen zu bekommen. Im öffentlichen Raum hingegen fehlt diese Funktion: Denkmäler stehen ohne Kontext in der Öffentlichkeit und zementieren einseitige Geschichtsbilder ein. Wir fordern daher Kurator:innen für den öffentlichen Raum in Wien, angesiedelt im Wien Museum. Sie sollen, zusammen mit den Gebietsbetreuungen, die schon jetzt Expertise für Beteiligungsformate zur Verfügung stellen, die Grundlage für öffentliche Verhandlungen belasteter historischer Personen schaffen.

Auch bei Neuvorstellungen von Denkmälern oder Neu- bzw. Umbenennungen öffentlicher Flächen soll dieser Prozess einer politischen Entscheidung vorausgehen. Nur so lässt sich Geschichte als Prozess begreifen und eine moderne Erinnerungskultur erfahren.

Mutige Politik, statt volle Depots!

Wir JUNOS – Junge Liberale NEOS stehen für mutige Politik – auch im Umgang mit Denkmälern und Benennungen öffentlicher Flächen.

Die ausschließliche Anbringung von Zusatztafeln, als mut- und ideenlosen Minimalkompromiss einer Kontextualisierung, lehnen wir entschlossen ab. Solche Informationstafeln sind nicht in der Lage, ein breites geschichtliches Verständnis abzubilden und leisten keinen Beitrag zu einer kritischen Auseinandersetzung. Im schlechtesten Fall, schreiben sie wieder ein einseitiges Geschichtsbild fest.

Auch die Aufstellung von Statuen belasteter historischer Personen in Museen lehnen wir im Regelfall ab. Das Verräumen der Statuen ist zu oft ein politisches Mittel, um der Auseinandersetzung mit problematischen Denkmälern auszuweichen. Volle Depots tragen genauso wenig zu einer kritischen Auseinandersetzung bei und leiten die politische Verantwortung über den Umgang mit solchen Denkmälern auf die Museen ab. Diese Praxis lehnen wir ab.

Gleichzeitig erkennen wir an, dass es sinnvolle Ausnahmen dieser Regel geben kann, wie der Umgang mit der Statue des Sklavenhändlers Edward Colston deutlich macht. Sie wurde mitsamt Graffiti und jenen Seilen, die man zum Sturz der Statue nutzte, sowie einer Sammlung von über 500 Plakaten als Beispiel einer sich ändernden Geschichtsauffassung in einem Museum in Bristol aufgestellt.4

Bürokratie aus dem Weg räumen!

Bürokratie darf kein Hindernis auf dem Weg zu einer modernen Erinnerungskultur sein! Der Verwaltungsaufwand, der beispielsweise Anrainer:innen durch eine Umbenennung entsteht, muss daher so gering wie möglich gehalten werden. Im Zuge der öffentlichen Foren soll es daher ein Angebot einer persönlichen Beratung für Anrainer:innen geben. Unmittelbare Kosten, die Bürger:innen aus so einer Umbenennung entstehen, müssen von der öffentlichen Hand übernommen werden.

Erinnerungskultur als Chance verstehen!

Das neue Interesse am Umgang mit öffentlichen Ehrungen belasteter historischer Personen ist vor allem eine Chance hin zu einer modernen Erinnerungskultur, die offen auf einem Fundament aus Fakten debattiert wird und an der möglichst viele Menschen beteiligt werden. Sie wird einer liberalen, demokratischen Öffentlichkeit gerecht und schützt Geschichte vor denjenigen, die sie nur politisch instrumentalisieren wollen. Es eröffnet sich für uns als Gesellschaft dadurch die Chance, Geschichte als spannendes und komplexes Phänomen zu begreifen.

1 https://www.wien.gv.at/kultur/strassennamen/strassennamenpruefung.html

2 https://kurier.at/chronik/wien/lueger-in-schieflage-denkmal-wird-um-35-grad-gekippt/402469196

3 https://kurier.at/chronik/wien/leopold-kunschak-platz-hernals-oevp-gedenktafel-antisemit/402458325

4 https://exhibitions.bristolmuseums.org.uk/the-colston-statue/