Ist es gerecht, jemandem sein Eigentum wegzunehmen, ohne fairen Ersatz dafür zu leisten? Offensichtlich ist es das nicht! Dennoch ist es exakt so den Tiroler Gemeindebürgern ergangen. Unter dem Einfluss des Bauernbundes wurde ein Großteil des Liegenschaftsvermögen von 170 Tiroler Gemeinden an Agrargemeinschaften übertragen, ohne die Gemeinden dafür zu entschädigen. Trotz zwei klarer Urteile durch den Verfassungsgerichtshof wurde dieses Vermögen bis heute nicht zurück übertragen oder ersetzt. Die Schuld für diesen Stillstand liegt vor allem an dem ignoranten Verhalten von Teilen der Tiroler Landesregierung, des Bauernbundes und der Klientelpolitik der Tiroler ÖVP. Es ist unbedingt notwendig, diese Ungerechtigkeit rückgängig zu machen und somit eine Lösung für dieses seit Jahrzehnten andauernde Unrecht zu finden.
Wem gehört Tirol? (Historie)
Ab Beginn des 20. Jahrhunderts wurde unter der Leitung von Richtern des Oberlandesgerichts Innsbrucks, der Grundbuchsanlegungskommission die Eigentumsverhältnisse an sämtlichen Liegenschaften der ehemaligen Monarchie in rechtsstaatlich geführten Verfahren erhoben und die Erhebungsergebnisse im Grundbuch festgehalten.
Auf den Flächen der Gemeinden, dem Gemeindegut, durften die ortsansässigen Bauern ihr Vieh, das in ihren Höfen überwintert, auftreiben. Außerdem hatten alteingesessene Familien das Recht, das Gemeindegut für ihre Bedürfnisse zu nutzen, diese hatten sogenanntes Nutzungsrecht, jedoch nie das Eigentum am Gemeindegut.
Durch das stetige Wachstum der Gemeindebevölkerung sorgten sich die Nutzungsberechtigten immer mehr um ihre Privilegien.
Einige Agrarier behaupteten, dass das historische Grundbuch falsch angelegt sei, da das Wort Gemeinde früher anders interpretiert wurde als heute. Und zwar waren laut ihnen die alteingesessenen Bauern damit gemeint und nicht die heutige politische Gemeinde, wie wir sie kennen. Diese Behauptung wurde jedoch mehrfach von Höchstgerichten widerlegt und entspricht somit nicht der Wahrheit. Die Nationalsozialisten in Österreich waren bemüht, die Bauern auch in Österreich auf Ihre Seite zu bringen, um ihrer Doktrin eine stabile Basis aufzubauen. Deshalb ergriffen die Nazis in Osttirol, das dem Gau Kärnten angegliedert wurde, Partei für die bis dahin Nutzungsberechtigten. Aus diesem Grund wurde das gesamte Fraktions- und Gemeindegut des Bezirks ins Eigentum der Nutzungsberechtigten übertragen. Um dies zu realisieren, wurden die Nutzungsberechtigten jeder Gemeinde jeweils zu sogenannten Agrargemeinschaften zusammengeschlossen und diesen das Gemeindegut als Eigentum übertragen.
Nach dem zweiten Weltkrieg setzte die Tiroler Landesregierungen das unter den Nazis begonnene Prozedere ebenso in Nordtirol fort.
Sowohl das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshof[1] 1954, das eindeutig beschreibt, dass die Flächen seit jeher im Eigentum der politischen Gemeinde standen und nicht in dem der Agrarier, als auch der Verfassungsgerichtshof[2] (Erkenntnis 1982) beschreiben die Vorgänge, der für dieses Unrecht Verantwortlichen als klar verfassungswidrig. Diese höchstgerichtlichen Entscheidungen wurden von der ab dem zweiten Weltkrieg in Tirol dominierenden Volkspartei völlig ignoriert.
Schlussendlich wurde den Gemeinden und somit allen Bürger:innen eine Fläche von rund 2.300 km² rechtswidrig enteignet. Außerdem wurden ca. weitere 1.300 km² unter agrargemeinschaftliche Verwaltung gestellt. Das bedeutet im Endeffekt, dass die Gemeinden keinerlei Eigentumsrechte mehr besitzen und den Agrargemeinschaften und deren Machenschaften eiskalt ausgeliefert sind.
Zusammengelegt ist dies eine Fläche, die größer als die Landesfläche des Bundeslands Vorarlberg ist.
Ein maßgebliches Ereignis der Causa war das Erkenntnis Mieders 2008 des Verfassungsgerichtshofs. Dieses bezeichnet die dortige Übertragung des Gemeindeguts in das Eigentum der Agrargemeinschaft als „offenkundig verfassungswidrig“, jedoch hat die Gemeinde dadurch das Recht auf den Vermögenswert (Substanzwert) der Liegenschaften nicht verloren. Die Rechte, die die Gemeinde früher als Alleineigentümerin hatte, stehen ihr jetzt als Anteilsrechte an der Agrargemeinschaft zu.
Auf dieses Erkenntnis des VfGh musste die Landesregierung reagieren, denn eine weitere Entscheidung des VfGH vom 5.12.2009 stellte ausdrücklich klar, dass das Erkenntnis zum Gemeindegut der Gemeinde Mieders nicht als Einzelfallentscheidung erging, sondern auf alle Fälle des Gemeindegutes Anwendung zu finden hat. Also wurde im Tiroler Landtag am 17.12.2009 ein Gesetz beschlossen, nach dem der sogenannte Substanzwert des Gemeindegutes, also alles außer der althergebrachten land- und forstwirtschaftlichen Nutzungsrecht, der Gemeinde zusteht. Dieses Gesetz hat jedoch eine gravierende Lücke. Eigentümer des Gemeindeguts bleiben nach wie vor die Agrargemeinschaften und ausschließlich die (meist bäuerlichen) Vertreter dieser sind auf den Konten zeichnungsberechtigt. Das hat zur Folge, dass nach der Einführung des neuen Gesetzes kaum Gemeinden das ihnen zustehende Geld erhielten. In den Jahren von 2008 bis 2013 haben die Agrargemeinschaften schätzungsweise 150 Millionen Euro eingenommen. Laut einer damaligen Aussendung der ÖVP! Erhielten die zu entschädigenden Gemeinden bis zu diesem Zeitpunkt lediglich 4 Millionen Euro. Der Rest liegt zum Teil weiterhin auf den Konten der Agrargemeinschaften oder wurde zum Vorteil der Nutzungsberechtigten genutzt, also de facto vernichtet.
Somit widerspricht der Zustand nach dem Gesetzesbeschluss weiterhin der Verfassung.
Deshalb wollte im Februar 2013 eine Mehrheit der Abgeordneten des Tiroler Landtags (alle außer die der ÖVP) beschließen, dass das Gemeindegut wieder ins Eigentum der Gemeinden zurück übertragen wird. Obwohl es sich bei dem Gemeindeguts-Rückübertragungsgesetz um ein einfaches Landesgesetz, das eine einfache Mehrheit im Landtag benötigt, handelt, kam es nicht zum Gesetzesbeschluss. Warum? Der damalige Landtagspräsident, dessen Familienangehörige vom Gemeindeguts-Rückübertragungsgesetz betroffen wären, hat sich ganz einfach geweigert, den Gesetzesantrag auf die Tagesordnung zu setzen.
Trotzdem ist der Krimi hier immer noch nicht zu Ende.
Mit Feststellungsverfahren wollen die Agrarier Hand in Hand mit den Verantwortlichen auf Landesebene retten, was noch zu retten ist. Bei einem Feststellungsverfahren hat die Agrarbehörde festzustellen, welche Liegenschaften agrargemeinschaftliche Liegenschaften sind und wem sie gehören, insbesondere, ob das Eigentum daran mehreren Parteien als Miteigentümern oder einer körperschaftlich eingerichteten Agrargemeinschaft zusteht.
Wichtig anzumerken ist, dass einem Feststellungsverfahren keine rechtserzeugende, sondern lediglich eine deklarative Wirkung zukommt.
Schadensausmaß
Durch all diese Vorgänge wurde erreicht, dass der Nutzen aus dem Gemeindegut so vieler Gemeinden nicht mehr allen Einwohnern dieser Gemeinden zugutekommt, sondern nur mehr einigen wenigen privilegierten Personen. Leidtragende sind hier nicht nur die leer ausgegangenen Gemeindebürger „zweiter Klasse“, sondern vor allem auch die Gemeinden selbst.
Den Gemeinden wurde durch die verfassungswidrige Enteignung die Möglichkeit genommen mit ihren Flächen selbst wirtschaftlich zu haushalten. So könnte zum Beispiel ohne diese historischen Ereignisse, eine Teilfinanzierung eines Schulbaus aus dem Schlagen größerer Mengen Holz von den Gemeinden in Betracht gezogen werden, wie es beispielshaft in der Gemeinde Zams zuvor gemacht wurde.
Durch die oftmals so großen Gemeindeflächen, die zu Unrecht im Eigentum der Agrargemeinschaften stehen, kommt es auch zu Situationen, in welchen die Gemeinden für die Nutzung eigentlich ihnen zustehender Flächen Miete zahlen, oder gar die Flächen „zurückkaufen“ müssen. Das ist vor Allem dort der Fall, wo nicht nur landwirtschaftliche Flächen übertragen wurden, sondern auch zentral im Ort gelegene Flächen. So zahlt zum Beispiel die Gemeinde Neustift für einen Parkplatz im Ortszentrum an die dortige Agrargemeinschaft Miete. In einer Osttiroler Gemeinde steht anscheinend gar die Hälfte des Dorfplatzes im Eigentum der dortigen Agrargemeinschaft. Überall dort, wo das Zentrum von der Übereignung betroffen ist, muss für jede Kleinigkeit, wie etwa den Bau eines Gehsteigs, mit der Agrargemeinschaft verhandelt werden, da diese ja Eigentümerin ist. Unterbleibt diese zähe und zeitaufwendige Verhandlung, gibt es nur die Alternative eines noch zeitaufwendigeren Enteignungsverfahren oder überhöhter Entschädigungszahlungen.
Noch tragischer wirkt das Ganze, wenn doch offensichtlich ist, dass die Rückübertragung des Gemeindegutes an die Gemeinden nicht nur rechtlich möglich, sondern ganz klar verfassungsrechtlich geboten wäre. Den Gemeinden muss wieder die Möglichkeit gegeben werden, auf den Wert und Gesamtnutzen ihres Gemeindegutes zugreifen zu können. Jeder einzelnen Gemeinde stehen die Rechte an dem Gemeindegut in dem Ausmaß zu, wie sie heute noch von den Agrargemeinschaftsmitgliedern ausgeübt werden. Das hätte den großen Unterschied zur Folge, dass die Nutzung nicht mehr nur den Agrargemeinschaftsmitgliedern selbst zugutekommen würde, sondern die Gemeinde mit den daraus resultierenden Mitteln zu Gunsten aller Einwohner wirtschaften könnte.
Viele der Probleme, die es derzeit aufgrund finanzieller Engpässe in Gemeinden gibt, müssten eigentlich nicht sein. Wäre diese verfassungswidrige Enteignung nie geschehen, hätten Gemeinden Kinderbetreuungsplätze mit eigenem Geld vermehrt ausbauen können, und auch sonstige Mängel, die aufgrund der finanziellen Situation existieren, hätten nie sein müssen.
Forderung
Dieser Tiroler Krimi kann aber ein Ende nehmen. Es braucht die sofortige Rückübertragung des verfassungswidrig enteigneten Eigentums an die Gemeinden, denen es zusteht. Dies könnte bereits durch ein einfaches Landesgesetz umgesetzt werden.
Wir JUNOS – Junge liberale NEOS Tirol fordern daher ein Gesetz über die Rückführung des unrechtmäßig an die Agrargemeinschaften übertragenen Gemeindeguts zu erlassen.
Explizit in diesem Gesetz enthalten sein muss:
- Die Rückübertragung des Gemeindeguts der in der Landtags-Anfrage Nr. 352/19 genannten „Gemeindegutsagrargemeinschaften“.
- Die Rückübertragung des Gemeindeguts, welches entgegen dem eine Gemeinde zum Zeitpunkt der Regulierung als Eigentümer ausweisenden Grundbuchsstand und damit rechtswidrig von der Agrarbehörde in „Feststellungsbescheiden“ als „Nicht Gemeindegut“ qualifiziert worden ist.
- Die Rückübertragung des Gemeindeguts jener Agrargemeinschaften, welches diesen im Wege unrechtmäßiger sogenannter „Hauptteilungen“ übertragen wurde.
- Die Rückübertragung des Gemeindeguts von Gemeindegutsagrargemeinschaften, bei denen sich die Gemeindegutseigenschaft aus dem historischen Grundbuch ergibt, jedoch laut aktuellem Wissensstand kein agrarbehördliches „Feststellungsverfahren“ stattgefunden hat.
- Die auf typischem Gemeindegut lastenden Regulierungen anzupassen, damit den Gemeinden der Zugriff auf den ihnen zustehenden Substanzwert endlich ermöglicht und sichergestellt wird.
[1] Tiroler Gemeindeverband | VwSlg 3560
[2] Tiroler Gemeindeverband | VfSlg 9336/1982